Der gottselige Thomas von Kempen

 

Ein regnerischer, grauer Vormittag zu Beginn des Monats Mai 1978 war uns beschieden, als wir Pilger nach Kempen kamen und in die fest verschlossene Kirche trotz mŸhsamem Suchen nach Pfarrer, Mesner und Kaplan absolut nicht hineinkamen. Nur das Denkmal vor der Kirche bewunderten wir, und ich musste mich zu dem Denkmal in Lebensgrš§e dargestellten auf den Denkmalsockel dazustellen, damit zwei auf dem Foto festgehalten wŸrden: ein Riese und ein Zwerg.

Der Riese ist Thomas von Kempen, der Verfasser der ãNachfolge ChristiÒ, der Zwerg bin ich, der Schreiber dieser  Zeilen, der seit den Gymnasialjahren zu diesem Geistesriesen aufzuschauen pflegt.

Als Thomas im Jahre 1379 zu Kempen als Kind armer Eltern geboren wurde, zeigte sich bereits das erste Wetterleuchten einer neu heraufziehenden stŸrmischen Zeit. Weithin herrschte, vor allem im religišs-sittlichen Leben Verirrung und Verwirrung. Wohlleben und Sittenzerfall waren damals auch in die Kirche und in die Klšster eingedrungen und bedrohten wie heute den Fortbestand der Kirche.

Aber es gab damals am Niederrhein in Deutschland und Holland doch noch Zentren lebendigen religišsen Lebens, die sich kŸhn und stark der beginnenden Zersetzung des christlichen Geistes entgegenstellten.

ZunŠchst war es die Erneuerungsbewegung, die von den Mystikern getragen wurde: vom hl. Heinrich Seuse am Oberrhein, von Johannes Tauler in Stra§burg, von Ruysbroeck sowie Florentius und Gerhard Groote in Holland. Ihr heiligmŠ§iges Leben und unermŸdliches seelsorgliches Wirken, vor allem ihre eifrige PredigttŠtigkeit, durch die dem unguten Zeitgeist und der weit verbreiteten Unwissenheit gewehrt wurde, waren von nachhaltiger Wirkung. Diese Mystiker Kreise bildeten wahre Inseln des Glaubens; sie waren Zufluchtsorte fŸr innerliche Menschen, StŸtzpunkte in den GlaubensstŸrmen der damaligen Zeit.

Die stŠrkste StŸtze der Kirche war damals die Genossenschaft der BrŸder vom gemeinsamen Leben, die von den beiden PriesterbrŸdern Florentius und Gerhard Groote gegrŸndet und gefŸhrt war. Beide Ÿbten einen tiefgehenden Einfluss auf das religišse Leben weiter Kreise an Niederrhein und in Holland aus.

In dieser Genossenschaft sammelten sich damals junge Menschen, die mitten im Zerfall des religišsen Lebens mit ihrem Christentum voll ernst machen wollten. Sie bemŸhten sich um eine LebensfŸhrung, die der der Urkirche Šhnlich war; sie lebten wirklich wie BrŸder zusammen, verpflichteten sich freiwillig zu einem Leben der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams unter einem geistlichen Oberen; sie arbeiteten miteinander, vor allem im Abschreiben theologischer Werke – die Druckkunst war ja damals noch nicht erfunden – und legten den verdienst ihrer Arbeit zum gemeinsamen Unterhalt zusammen; sie pflegten das gemeinschaftliche Gebet, die Betrachtung, die geistliche Lesung m Wechsel mit Handarbeit und wirkten in ihre Umwelt hinein durch Beispiel und Predigt und die Werke der Barmherzigkeit.

Dieser Genossenschaft der BrŸder vom gemeinsamen Leben schloss sich Thomas von Kempen dem Beispiel seines Šlteren Bruders Johannes folgend an, nachdem er von seinen Eltern zur GenŸgsamkeit und Arbeitsamkeit, zu Gehorsam, Demut, Reinheit und Gottesliebe bestens erzogen und dann noch 12 Jahre in Deventer bei den Chorherren von Windesheim ausgebildet worden war. Am 12. Juni 1406 legte Thomas in die HŠnde seines Bruders Johannes die ewigen GelŸbde ab, 1413 empfing er die Priesterweihe. Von da an verbrachte er eigentlich sein ganzes Leben bis zu seinem Tod im stillen Kloster am Agnetenberg bei Zwolle in Holland, fern vom LŠrm der Welt, ganz den Idealen des Ordenslebens hingegeben. Hier schrieb er seine kostbaren BŸcher, deren kostbarstes ãDie Nachfolge ChristiÒ ist, von der der gro§e Philosoph Leibniz erklŠrt hat: ãSie ist eines der vortrefflichsten Werke, die jemals auf Erden niedergeschrieben worden sind: selig, wer nach dem Inhalt dieses Buches lebt!Ò Kein religišses Buch – au§er der Hl. Schrift – wurde so viel gedruckt, gelesen, in alle Kultursprachen Ÿbersetzt wie dieses. Auch seine andren religišsen Werke wie das ãLilientalÒ, das ãAlleingesprŠch der SeeleÒ, das ãRosengŠrtleinÒ, ÒDie Herberge der ArmenÒ, die Betrachtungen Ÿber Leben, Leiden und Auferstehen Christi u.a. wŠren ungemein lesenswert.

Auch Hymnen und Lieder hat Thomas von Kempen gedichtet und teilweise sogar die Melodie dazu komponiert.

Die Vorgesetzten des Ordens, die die zarte Liebe, die erleuchtete Klugheit und Fršmmigkeit des Thomas von Kempen kannten, vertrauten ihm nicht nur das Amt eines Subpriors, sondern auch das des Novizenmeisters an. Keinem besseren konnten die jungen Novizen anvertraut werden. Die klugen, auf wahre Fršmmigkeit und Innerlichkeit bedachten Reden des Thomas von Kempen an die jungen OrdensbrŸder, die wir von ihm noch besitzen, sind warme ErgŸsse eines von Gott erfŸllten Herzens. ãEs spricht daraus ein so vŠterlicher, sanftmŸtiger, freundlicher, gro§er und tiefer Geist, dass niemand sie lesen kann, ohne von dem heiligen Feuer ergriffen zu werden, das aus jedem seiner Worte glŸht.Ò So hei§t es in einer Lebensbeschreibung des gottseligen Thomas von Kempen.

Am 8. August 1471 wurde dieser fromme Ordenspriester im hohen Alter von 91 Jahren zum ewigen Lohn heimberufen.

Was mir beim Lesen der ãNachfolge ChristiÒ des Thomas von Kempen immer aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass er darin so Tiefes und Schšnes Ÿber die Tugenden schreibt und Ÿber ãdie inwendige Rede ChristiÒ sowie Ÿber den kostbaren Segen der wŸrdigen, andŠchtigen hl. Kommunion, dass er aber in diesem unsterblichen Buch gar nichts sagt Ÿber Maria und die rechte Marienverehrung. Wie passt das zu diesem gro§en, wahrhaft innerlichen Mystiker? Hat er etwa Maria nicht geliebt und verehrt? Ganz im Gegenteil! In seinen Ÿbrigen Werken tritt uns allenthalben eine so tiefe und warme Begeisterung fŸr die seligste Jungfrau entgegen, dass sie uns unwillkŸrlich mitrei§t und uns den Eindruck ahnen lŠsst, den dieser gewaltige Gewissensmahner auf seine Novizen im Kloster auf dem St. Agnesberg bei Zwolle und  auf seine Leser ausgeŸbt haben mag. Immer wird sein Lob auf Maria zum Gebet, in welchem er seiner glŸhende Begeisterung fŸr die makellos Reine Ausdruck verleiht und sie um ihren Schutz anfleht. In einem seiner Lieder ruft er die Gottesmutter so an:

ãReis aus Jesse, fruchtbar, blŸhend, Himmelsleuchte, allen glŸhend, mach, dass nur fŸr Gott auf Erden unsre Herzen eifrig werden. GŸtÕge Mutter, zeig uns Armen deines Herzens treu Erbarmen. Biete deine Brust dem Kinde, dass die Welt Verzeihung finde!Ò